Donnerstag, 17. Juni 2010

Telefonterror

Diese technische Errungenschaft ist so lange segensreich, bis sie früher oder später zum reinen Terror mutiert. Und das ist heute geschehen.

Jeder, ob Gross oder Klein, ob Jung oder Alt, scheint mindestens zwei dieser High-Tech Werkzeuge ständig am Mann oder an der Frau zu tragen. Und getragen werden diese nicht in Taschen oder Jacken, nein, immer in der Hand. Weshalb viele davon hin und wieder fallen, zerspringen oder sogar in der Toilette ersaufen.

Störend für mich ist weniger das Klingeln oder diese höchst seltsamen Töne oder Melodien, sondern nur die Lautstärke, in der diese Winzlinge immer wieder angeschrien werden. Was haben diese armen Geräte nur Böses angestellt? Wahrscheinlich sind sie vor ein paar Tagen aus der Hand gesprungen, gefallen, und man ist noch immer erzürnt darüber und bestraft sie auf diese brutale Weise.

Ausserdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in meiner Gegenwart die Leute um mich herum immer nur solche Leute anrufen, die hochgradig schwerhörig sein müssen. Oder selbst über kein derartiges Gerät verfügen. Oder beides. Oder sehr weit entfernt weilen.

Da bin ich dem Strassenlärm endlich entkommen und will bei einem Milchkaffee unter einem einladenden Sonnenschirm und bei Vogelgezwitscher etwas relaxen. Ein gesetzter Herr kommt irgendwann hinzu und macht sich am Nachbartisch breit. Er ist ruhig und zurückhaltend, bis er seine Bestellung aufgegeben hat. Durch einen wohl hörbaren Zuruf quer über den Platz direkt in die Cafeteria hinein. Oha! Einer von der lauten Sorte! Er wird doch nicht etwa Gebrauch machen wollen von seinen drei Handys, die ordentlich aufgereiht vor ihm auf dem Tisch liegen? Er wird.

Und was dann der Herr am Nachbartisch in den nächsten zehn Minuten diesem für mich nicht sichtbaren Schwerhörigen, der mindestens zwei Strassen weiter irgendwo hilflos herumstehen muß, tatsächlich wortgewaltig zu empfehlen scheint, bleibt für mich verschlossen. Zehn Minuten lang. Laut und vernehmlich. Ohne Rücksicht auf die Vögel und auf mich. Das Ende seiner Kommunikation ist eine wahre Erlösung. Erst dann wagt die Bedienung, ihm den Kaffee zu servieren.

Er denkt nach und nimmt ein Schlückchen von seinem Kaffee. Damit muß er wohl seine strapazierte Stimme geölt haben, denn er greift zielstrebig zu Handy Nummer 2, wählt eine lange Nummer --- Herrjeh, wieder ein lautes Ferngespräch? Und der ferne Angerufene gibt das Startzeichen für eine Wiederholung des vorherigen Anrufs. Ich bin sicher, der Herr am Nachbartisch betreibt eine Telefonkette, und jetzt muß die wichtige Nachricht erneut verkündet werden. Jedem Einzelnen, in der Strasse, auf dem Platz und vor allem mir, obwohl ich sie doch schon kenne und mein Trommelfell noch immer vibriert.

Mit Entsetzen sehe ich den Herrn am Nachbartisch schon mit Handy Nummer 3 spielen.

Da platzt mir der Kragen und in mir reift der verwegene Plan, diesen Herrn am Nachbartisch brutal mund-tot zu machen. Oder besser gesagt, handy-tot. Nein, nein, ich entreisse ihm nicht sein Eigentum. Nein, nein, ich zerstampfe es nicht. Nein, nein, ich entführe es auch nicht. Nein, ich lege einen winzig kleinen Schalter um an einem unscheinbar aussehenden Kästchen und zähle bis 5.

Bei 6 tritt das Unerwartete ein. Nach ein paar sich wiederholenden Worten, an deren Ende sicherlich ein Fragezeichen steht, schauen die Vögel irritiert zum Nachbartisch. Dort schaut man ebenso irritiert auf die technische Errungenschaft Nummer 2, gibt ihr einen Klaps auf den Po, wirft einen Blick nach oben, und als von dort weder Hilfe noch Signale kommen, und alle anderen Handys auf seinem Tisch ebenfalls den Empfang eingestellt zu haben scheinen, ist endlich Ruhe eingekehrt. Für die Vögel und für mich.

© OScAR 2010.

1 Kommentar:

  1. Witzig, spritzig und einfach nur köstlich beschrieben. Ich habe herzlich gelacht! Ja, so ist sie, die Handy-Telefonie. Ich werde es demnächst auch so handhaben; der Schalter wird nur umgelegt. Mal schauen, was passiert.
    netten Gruß!

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