Womit und wohin und wann auch immer man sich fortbewegt, von allen Teilnehmern um einen herum erfährt man jederzeit ein hohes Maß an Toleranz. Man hupt sein "Dankeschön" und erntet ein gehuptes "Bitteschön". So einfach funktioniert das, solange eine Hupe zur Hand; ob am Auto, am Motorrad, am Fahrrad, am Nilboot, an einer Pferdedroschke oder einem Eselskarren. Fußgänger und Esel bilden da jedoch die Ausnahme.
Überraschenderweise gleichen die mir weltbekannten Verbotsschilder, also rund mit rotem Rand und einem durchgestrichenen Symbol, den hiesigen Gebotsschildern.
Beispiel: Hupe. Es ist das erste Verkehrszeichen am Straßenrand direkt nach Verlassen des Flughafengeländes. Mein Taxifahrer nimmt es sehr genau und beginnt sofort sein individuelles Hupkonzert, kaum daß er dieses Zeichen passiert; erst vor dem Hotel legt er eine Huppause ein.
Beispiel Überholen. Mein Taxifahrer überholt gebotsmäßig an nach meinem Gefühl völlig ungeeigneten Stellen, und es verdichtet sich bei mir der begründete Verdacht, daß man diese Schilder nicht sehr genau nimmt oder schlichtweg falsch plaziert hat.
Dazwischen hat er auf seinem Weg jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer exakt drei Mal hupenderweise begrüßt: Bei Annäherung, direkt hinter ihm, und während des Passierens. Alle beteiligen sich an diesem vielstimmigen Konzert. Motorräder scheinen sogar eine Hupenweiterentwicklung ein- oder angebaut zu haben, denn diese hupen kontinuierlich, stakkatoartig, oder auf- und abschwellend, solange sie rollen.
Mein Taxifahrer fährt wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch in der Dunkelheit grundsätzlich ohne Beleuchtung. Die Innenraumbeleuchtung sei hier nicht eingeschlossen. Hat er das Gefühl, daß ein Fahrzeug entgegenkommen könnte, blendet er kurz auf, um sich zu vergewissern und um sich selbst kurzzeitig bemerkbar zu machen; der Entgegenkommende folgt seinem Beispiel. Danach fährt jeder wieder im Dunkeln. Auf meine Frage, weshalb man auf Licht während des Fahrens verzichtet, lerne ich einmal mehr etwas über Toleranz im Straßenverkehr: Mit meinem Licht verärgere ich eventuell den Gegenverkehr, ist seine verblüffende Erklärung.
Wir überqueren den Staudamm auf einer ziemlich schmalen Straße. Im Dunkeln. Und damit sich Entgegenkommende orientieren können, wie breit das eigene Fahrzeug ist, wird kontinuierlich von allen Fahrern jeweils links geblinkt. Im Dunkeln.
Die meisten Straßen zeigen sich in schlechtem Zustand: Löcher, in denen Zwei- und Vierbeiner verschwinden könnten; Steinansammlungen und wilde Absperrungen verhindern das Schlimmste; Straßensperren und fahrgestellzerlegende Schweller tauchen nicht nur im Dunkeln ohne Vorwarnung auf und zwingen zu einem Schleichtempo und manchmal zu einem kurzen Stillstand; Schnellstraßenauf- oder Abfahrten sind sehr beliebte Versammlungs- und Parkplätze; schnell ist ein Wasserkocher in Gang gesetzt und der süße Tee vertreibt die Wartezeit. Auf was man dort auch immer warten mag.
Mehrmals gehe ich an diesem Verkehrszeichen vorbei, das wohl einen Kreisverkehr ankündigen soll. Blauer Rand und drei Pfeile ringförmig angeordnet. Nachts ist es beleuchtet und die drei Pfeile sind sogar animiert. Und wieder stehe ich davor und frage mich, was so auffällig an diesem Zeichen zu sein scheint. Nach einer Weile habe ich entdeckt, daß diese drei Pfeile im Uhrzeigersinn angeordnet und auch animiert sind! Also ist der Kreisverkehr links herum zu befahren. Oder?
Ob im Kreisverkehr oder auf normaler Straße, man begegnet immerzu Mitmenschen auf Abwegen, die Nachsicht voraussetzen und auch erwarten können. Jeder manövriert sich so gut er kann hindurch. Die einzige Karambolage sehe ich auf einer kürzlich ausgebauten Straße, denn dort ist ein Minibus in einen der Krater gefallen und hat sich das Vorderrad abgerissen.
Bei Dunkelheit erstrahlen Motorräder in besonderem Schein. Die Rücklichter blinken in allen Farben und Rhythmen um die Wette, die Vorderpartien dagegen sind Ausdruck höchster Individualität: Rote Lampen, grüne Umrahmungen, blaue Warnblinker, bunte Weihnachtsbäume, aber keine normalen Scheinwerfer. Das vordere Nummernschild steckt lose an der Gabel.
3-4 Passagiere auf einem Motorrad ist der normale Anblick; eine komplette Familie sehe ich auch, wobei die Mutter im Damensitz noch ein Baby unter ihren Arm klemmt. Auch ein Sozius, der eine riesige Glasscheibe aufrecht und gegen den Fahrtwind balanziert. Nicht zu vergessen der Motorradfahrer mit den überlangen Rohren auf seiner Schulter. Oder eine Ladung Fladenbrot, die ein Fahrradfahrer auf seinem Kopf gemütlich durch das Verkehrs- und Fußgängergewühl manövriert.
Aus der Entfernung betrachtet gleicht der Straßenverkehr dem Gewirr einer Ameisenkolonie; jeder bewegt sich in seine gewünschte Richtung und toleriert die anderen Teilnehmer, toleriert deren Wege, deren Transportprobleme und deren Art der Fortbewegung. Nach einem Tag des Beobachtens wage ich schließlich, mit geschlossenen Augen die vielbefahrene Straße zu überqueren...und würde unbeschadet auf der anderen Seite ankommen, wenn da nicht dieses Loch im Pflaster wäre...Autsch!
© OScAR 2012.