Ein Schuß zerreißt die Stille meiner herbstlichen Aufräumarbeit auf meiner Streuobstwiese. Ein Schuß, so nah? Ich schaue auf und sehe viele Personen um mich herum in einiger Entfernung, sie haben einen großen Kreis gebildet und ich bin in deren Mitte. Alle tragen rote Warnwesten, als hätte jeder ein Problem mit seinem Fahrzeug. Oder irgendeinen anderen Defekt.
Die meisten sind sogar bewaffnet. Die einen tragen richtige Flinten, die anderen sind mit bestens ausgebildeten Hunden ausgerüstet. Und alle scheinen nur das Ziel zu haben, mich zu umstellen. Denn diese jägerliche Infanterie marschiert stetig aus allen Richtungen auf mich zu. Sie scheren sich nicht um meine Bedenken, mitten drin in einer Treibjagd zu sein, habe ich doch keine dieser Warnwesten an; sie scheren sich auch nicht darum, wildfremde Grundstücke zu zertrampeln, sie sind nur auf Wild aus.
Das klagende Heulen eines waidwund geschossenen Elchs in Alaska stellt sich hier als Blasversuch auf einem Jagdhorn heraus. Die Jagd, also das Totschießen, ist eröffnet. Wilde Schüsse und Ballerei um mich herum lassen mich den Kopf einziehen, hört man doch hin und wieder von erlegten Treibern, Kühen und sogar Jägerkameraden. Ein ebenso wildes Geschrei animiert die Hunde, die alle ein rotes Schlabberlätzchen tragen, sich wie ein normaler Sonntagsausgehhund ohne Leine in freier Natur zu verhalten. Man hat ihnen ja das jagdlich korrekte Verhalten antrainiert, aber einmal von der Leine verhalten sie sich genau wie jeder andere Hund, dessen Ohren auf Durchzug stehen und die alles vor sich jagen, selbst den Kollegen nebenan. Irgendwelche kontrollierenden Kommandos oder sogar Pfiffe verhallen ungehört.
Würde mein reinrassiger Jagdhund sich so verhalten, würde er ziemlich schnell von einem dieser grünen Herren oder auch Damen mit aller zur Verfügung stehenden Härte bestraft. Bumm. An einem Sonntag Morgen in der gleichen Flur.
Doch hier haben diese Spitzenkläffer tatsächlich einen einsamen Hasen aufgestöbert, dem sie jetzt blindlings hinterherjagen, angespornt durch laute Kommandos und noch lautere Pfiffe. Ist das jetzt noch eine Treibjagd, oder ist es gerade eine Hetzjagd geworden? Der Hase jagt an mir vorbei und erlaubt sich doch allen Ernstes, zurück auf Treiber und Jäger zu rennen. Was für ein Hohn! Schüsse fallen da nicht mehr, schließlich stehen sich die Warnwestenträger gegenseitig im Weg. Und dann ist der Hase verschwunden. Und die Hunde jammern. Und dann schreit wieder der Elch, aber eine andere Melodie.
Da kommt der Hase ja wieder zum Vorschein, man sieht ihn ganz genau, aber die Hunde haben keine Lust mehr und sind eingeschnappt. Wieder an der Leine. Und die roten Westen wollen wieder mein Grundstück zertrampeln.
Der Obertrampler aber muß demonstrieren, daß er sich seinen Weg bahnt, wo immer er will. Mit geladener Flinte und zähnefletschendem Hund schiebt er sich an mir vorbei über mein Grundstück. Meiner Bitte, wie jeder andere willkommene Spaziergänger den Feldweg zu benutzen, kommt er natürlich nicht nach.
Waidmanns-Dank.
© OScAR 2010.