Mittwoch, 13. Januar 2010

Shopping Center

Behutsam bevölkern sich die Gänge des Shopping Centers. Die Mehrzahl der Geschäfte jedoch zeigt sich noch verschlafen und kann die Rollgitter wie schwere Augenlider noch nicht so richtig öffnen. Es ist einfach noch zu früh am Tag. Nur noch ein Viertelstündchen, bitte.

Mein Blick schweift weiter durch das Rund. Sieh mal dort, ein Sperling hat sich tatsächlich irgendwo Einlaß verschafft und fliegt fast unbeholfen in der gläsernen Kuppel. Aufgeregt hüpft er von Stahlverstrebungen zu Stahlverstrebung. Er kann es kaum erwarten, bis endlich die Fast-Food Läden öffnen und seinen morgendlichen Happen sichern.

Das aber interessiert den Schuhputzer dort links an der großen Säule nicht, denn er bereitet gewissenhaft sein Creme- und Bürstensortiment aus und nimmt erst einmal selbst Platz auf seinem Schuhputzerthron. Er hat alle Zeit der Welt heute morgen. Neben ihm gibt es in Lissabon schätzungsweise nur noch zwei Dutzend Schuhputzer, sogenannte engraxadores, die ja eigentlich und offiziell polidor de calçado, also Schuhpolierer heissen. Für zwei Euros bringt er jeden Lederschuh zum Strahlen. Doch sein Blick fällt fast nur noch auf Tennis- und Sportschuhe.

Auch die fleissigen Abfallsucher drehen schon ihre Runden und inspizieren gewissenhaft die Sammelstellen; ihre Arbeit ist leichter geworden, nachdem auch die Mülltrennung Einzug gehalten hat in die Sauberkeit des Centers; lediglich die Touristen stören hin und wieder die Übersichtlichkeit der Sortierung, weil sie immer noch nicht die Beschriftung auf dem Abfallbehälter entziffern können. Aber so früh am Morgen sind die Behälter noch leer. Sei es drum, immer wachsam sein.

Flotte Verkäuferinnen huschen zu den halb geöffneten Türen, um den neuen Verkaufstag zu beginnen. Auf halbem Weg verweilen sie für ein paar Minuten an einem Stehcafe, um hastig einen Schluck starken Kaffees aus einer Puppenstubentasse zu trinken, dazu die zwei Bissen eines Törtchens, dessen Rest zusammen mit der Papierserviette, die zu gewachst ist, um Finger oder Lippen wirklich reinigen zu können, geschickt in die Abfallbehälter zu Füssen befördert werden. Dann huschen sie weiter.

Die Mitglieder der Rentner-Band studieren die neuesten Zeitungen, oder das, was von gestern liegengeblieben ist. Auch wenn es nur der Anzeigenteil ist. Einer liest und spricht das Gelesene vor sich hin, wie anno in der zweiten Schulklasse. Würde ich die hiesige Sprache sprechen, könnte ich synchron mit Vorleser ebenfalls die Zeitungen studieren.

Währenddessen patroulliert der ernsthaft dreinschauende Security Mann mit dem gesprächigen Funkgerät in der Hand, während erste Touristen sich verirren, Rollkoffer hinter sich herziehend, die man so früh am Morgen noch nicht losgeworden ist.

Und eine Parade von Kindergartenkindern in bunter aber einheitlicher Uniform bewegt sich langsam und auf ihre Weise leise in Richtung Kino, jeweils zwei Kinder Hand-in-Hand, vorne und hinten flankiert von Erwachsenen in gelben Sicherheitswesten. Der Security Mann eilt hinzu und sperrt die Rolltreppe für die Parade, während oben schon der Kollege für den sicheren Empfang der Kleinen bereit steht. Kurze Zeit später aber ziehen lange Schlangen von lärmenden Schulkindern durch die Gänge und haben ebenfalls das Kino als Ziel.

Die übergroßen Fernsehschirme über meinem Kopf werden zuckend aus dem Schlaf gerissen und beginnen unwillig mit dem Tagespensum. Werbung, Kurznachrichten, Werbung, Wetter, Werbung, Sportfetzen, Werbung und Feuchtigkeits- und CO2-Daten zur Zeit im Gebäude. Und zugleich rieselt das Wasser hoch oben über das gewölbte Glasdach und wird später für etwas Kühlung sorgen. Die Möven haben diese Kneipp-Kur ebenfalls entdeckt und stehen oder watscheln im Wasser hoch über meinem Kopf, während ich nur die breiten Füßchen von unten sehen kann.

Ein neuer Verkaufstag hat begonnen.

© OScAR 2010.