Samstag, 12. Dezember 2009

Silberfolie


Ein wundervolles Wochenende in einem bezaubernden Märchenschloß liegt vor uns, als wir die A1 nach Norden unter uns abrollen lassen. 12,85 Euros signalisiert die Via Verde Anzeigetafel, als wir die Autobahn verlassen und uns gen Osten wenden. Luso ist unser Ziel, denn dort oben im berühmten Forst mit 700 verschiedenen Baumarten, gepflanzt von Benediktiner Mönchen, hat man im 19. Jahrhundert neben einem Klosterlein ein Kleinod für den Monarchen errichtet. Und weil jener nur drei Jahre nach Fertigstellung darin lustwandeln konnte, weil man ihn nicht mehr haben wollte, den Monarchen, verlustieren wir uns für die nächsten zwei Tage darin. So die Planung.

Das Tor zur Einfahrt steht weit offen, der Schlagbaum ist geöffnet, das ehemalige Torwächterhaus signalisiert beginnenden Verfall. Auf dem Kopfsteinpflaster rumpelnd nehmen wir die leichten Serpentinen hinauf zum Schloß. Wir umrunden die im Zuckerbäckerstil überladene Gebäudeansammlung samt Gartenanlage und Teich, folgen dezenten Hinweisschildern, können aber erst in Runde 3 den Hoteleingang entdecken.

Das Hotel Palace do Buçaco ist auf den ersten Blick auch innen ein mit antiken, dunkelbraunen Möbelstücken überladenes Gebäude, das kaum Raum zum Atmen läßt, obwohl alle Räumlichkeiten nahezu doppelte Raumhöhe haben. Vieles hat man wohl erhalten können, der Ritterrüstung auf dem Treppenabsatz sogar Leuchtdioden in die Augenhöhlen eingesetzt, die Lichtschalter sehr kindersicher in 1,80m Höhe angebracht. Eigener Wein und eigener Honig zusammen mit Ansichtskarten und Bildbänden stehen unübersehbar bereit für den Touristen.

Der hoteleigene Schlüsselanhänger zieht die Hosentasche energisch hinunter, als wir auf knarrenden Holzdielen und über gefährlich abgetretene Teppichläufern durch die Gänge schreiten. Wir sind ganz besondere Gäste, denn die Teppiche sind rot. Oder waren es zumindest irgendwann einmal. Das Zimmer ist großzügig und überladen. Die Farbe blättert von Wänden und Fensterrahmen, die antiken Schubladen klemmen in antiken Möbelstücken, uralte Heizgeräte in den Wänden werden kaschiert durch billige Baumarktheizlüfter. Das Obst ist frisch und die Wasserflasche trägt das Luso-Etikett. Der Teppichboden ist ausgefranst und von Flecken unbekannter Herkunft übersät. Sternenabzug.

Das Bad ist ebenfalls großzügig, die Tür ist verzogen und läßt sich nicht schliessen. Die Armaturen sind antik und funktionieren deshalb nur bedingt. Die Abflüsse sind verstopft. Das warme Wasser kommt sofort. Die in Hotels dieser Preisklasse üblichen Toilettenartikel fehlen gänzlich, zwei winzige Leuchtstoffröhren flankieren den Spiegel und tauchen das Bad in gespenstisches Licht. Keine Ablage für Kamm oder dritte Zähne. Sternenabzug.

Kühle Nachtruhe bei geöffnetem Fenster ist für mich ein normaler Zustand, für meine Begleitung aus Lissabon aber eine völlig neue Erfahrung. Lediglich zwei Hunde unterhalten sich über größere Entfernung über ein wohl interessantes Thema. Wir schlafen tief und verpassen fast das Frühstück.

Das Palace do Buçaco ist in den gängigen Hotelbeschreibung mit 5 Sternen als Luxushotel der besonderen Art gepriesen. Weshalb wird dann eine Woche Halbpension für €420 verramscht? Die Familienkutschen vor dem Hotel und kreischende Kinder während des Frühstücks lassen erahnen, daß hier etwas nicht zusammen paßt.

Der Kaffee ist eine Zumutung, der Orangensaft entspringt einer chemischen Quelle, das Rührei ist eine Pampe, kaum Brotauswahl, ein wenig Käse, Marmelade, Obst aus der Dose und eine Sorte Cornflakes mit warmer Milch. Sternenabzug. Und noch ein Sternenabzug.
Das miese Frühstück ist plötzlich nicht mehr ganz so mies, wenn man es auf der überdachten Terrasse einnehmen kann. Mit Blick auf die Gartenanlage und die Wälder. Und wenn die verzogenen Kinder nicht wären, wäre es eine himmlische Ruhe. Leider schreien sich die meisten Gäste trotz gegenseitiger Tuchfühlung permanent an. Na ja, viel Tuch tragen sie nicht, T-Shirt, Bermudas und Badelatschen. Und telefonieren könnten sie glatt ohne Handy, denn ihre Stimmen tragen mit Sicherheit bis nach Coimbra.

Die Ruhe wird aber ziemlich schnell unterbrochen durch den Einfall von Tagestouristen, die ihre Autos und Busse auf jedem Fleckchen Erde plazieren, lauthals und heuschreckengleich alles erstürmen, erklettern, abreissen, fotografieren. Leere Flaschen, benutzte Taschentücher, Packpapier und leere Tüten sind deren Hinterlassenschaft. Dann ist wieder Ruhe eingekehrt. Und ich steige ein in die umgebende Waldlandschaft und finde eine Zeder, die nachweislich seit 1644 (?) dort steht und auch Napoleons und der Touristen Angriffe bisher überdauerte.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der Lüster im Zimmer als geniale Fälschung, denn hinter den Glasschalen hat man in Ermangelung von antikem Silber tatsächlich Silberfolie aus der Küche drapiert. Und der Mini-TV, den man ja eigentlich überhaupt nicht benutzt, läßt kümmerliche drei Kanäle flimmern. Sternenabzug.

Die Turmbesichtigung rundet das traurige Bild ab, das wir über diesen Palast gesammelt haben. Die Aussichtsplattform ist zugepflastert mit Satellitenschüsseln. Mit Sicherheit aber nicht für den kleinen Fernseher unten im Zimmer. Rostige Drähte halten zerfallene Bauelemente zusammen, eine Wasserrohrkonstruktion ersetzt auf abenteuerliche Weise eine Blitzschutzanlage und die verrostete Metallkugel auf der Turmspitze wird durch eine ebenfalls verrostete Metallleiter hilfreich gestützt. Beim Abstieg entdecken wir zwei völlig verwahrloste Stockwerke.


Wir erkunden die nahe Umgebung. Die Stadt Luso schlummert vor sich hin, das Therapiebad ist auf Dauer geschlossen, die Restaurants bezeichnen gefroren Fisch als tagesfrisch und die Stadt hat eine nagelneue Straße, in der sich Souvenirhütten aus dem Baukasten aneinanderreihen und Blödsinn made in China feilbieten. Lediglich die öffentliche Wasserentnahmestelle ist umlagert und ist lustig anzusehen, wenn Männlein wie Weiblein mit Unmengen Wasserkanistern die Wasserspeier umlagern und sich mit frischem Naß versorgen. Meine Begleiterin leert tatsächlich eine mitgebrachte Wasserflasche, um sie mit dem speziellen Wasser wieder zu füllen. Das Militärmuseum ist schon wieder geschlossen.

Ein kleines Restaurant mit dem Namen Astoria sei erwähnt, dessen Steak mich über so manche Enttäuschung hinweg tröstet. Leider führt man auch dort kein Corona Bier im Angebot. Und so wenden wir uns und statten Coimbra und der Universität einen Besuch ab, um uns danach wieder gen Süden zu bewegen.

© OScAR 2009.

Montag, 7. Dezember 2009

Oktoberfest

Irgendwie ist die Strasse entlang des Hafens verstopft. Nun, es ist Sonntag Nachmittag und wir sind umgeben von Ausflüglern. Also kriechen wir im Schneckentempo mit der Schlange. Oder vielleicht einfach links abbiegen und versuchen, auf Schleichwegen aus dem Ort zu kommen? Die nächstbeste Strasse soll uns hinaus führen.

Wir biegen ab und ich staune, denn da steht ein bayerischer Maibaum und ein Schild „Biergarten". Na, wenn das kein Fingerzeig ist! Oktoberfeststimmung in Portugal?

Wir parken und steigen die Stufen hoch zum besagten Biergarten. Schön ist es hier. Ein großer Garten, alte und schattige Bäume laden zum Verweilen ein und ein kleines Restaurant in der Mitte verspricht kühle Getränke und heisse Speisen. Bayerische.

Wir lassen uns nieder und warten mit klopfenden Herzen. Irgendwann hat das Klopfen ein Ende, denn die Bedienung ist mit anderen Sachen beschäftigt. Ich schaue mich um. Nur wenige Tische sind besetzt und es ist schon Abend geworden. Mein Instinkt rät mir, die Stufen hinab zu schreiten und es woanders zu versuchen. Meine Begleiterin möchte aber endlich etwas Deutsches probieren. Also warten wir.

Dann endlich kommt der nicht ganz so freundliche Kellner und knallt eine zerfledderte, klebrige und schmutzige Speisekarte auf den Tisch, als wäre er ein Schafskopfspieler. Und verschwindet irgendwo im Garten. Nun, wir haben Zeit und versuchen zu entziffern, was man hier so feil hält. Unter anderem Eisbein. Na ja, nicht so meine Geschmacksrichtung. Meine Interessierte erklärt mir, einem Deutschen, was man in Portugiesisch unter Eisbein geschrieben hat. Aha, das Knie eines Schweins mit Sauerkraut und Rotkohl und Chips. Ich lese schon weiter und finde, oha, Hax'n. Für eine oder für zwei Personen. Ich entscheide mich für eine kleine Hax'n.

Während wir immer noch warten, staune ich nicht schlecht, daß die portugiesische Erklärung für Eisbein und Hax'n völlig identisch ist. Bis auf den Preis.

Den endlich aus der Versenkung auftauchenden Kellner bitten wir um eine deutsche Speisekarte, die dann nicht an den Fingern klebt und wohl sehr, sehr selten benutzt worden ist. Und hier kann man nachlesen, was der Unterschied zwischen Eisbein und Hax'n nun wirklich ist. Also bestellen wir. Hax'n. Er vergißt zu fragen, ob wir auch etwas trinken möchten.

Nach fünf Minuten schlurft er heran und erklärt, ohne ein Wort des Bedauerns, daß es keine Hax'n gäbe. Wir weichen aus auf Eisbein. Oh Graus.

Nach weiteren fünf Minuten schlurft er heran und erklärt, ohne ein Wort des Bedauerns, daß es kein Eisbein gäbe. Wir weichen auf Nürnberger Würsten aus. Nein, nein, die gäbe es erst zum Abendessen. Und jetzt ist noch kein Abend. Wir weichen auf irgendetwas anderes aus. Das gibt es glücklicherweise und auch am frühen Abend. Das Erdinger Weißbier ist schal und warm.

Endlich versteht meine portugiesische Begleiterin, warum wir im letzten Krieg von den Alliierten immer nur „Krauts" gerufen wurden: Das bißchen Sauerkraut trieft in seinem Essigwasser und setzt ein paar Mini-Würstchen sofort unter dasselbe. Aha, deshalb habt ihr Deutsche immer so einen ernsthaften und schlechtgelaunten Gesichtsausdruck. Das bißchen Rotkraut dagegen mundet wider Erwarten, auch ohne eine kleines Apfelstück darin. Die Würstchen haben keinen Geschmack, nehmen stattdessen aber sofort den des Essigwassers auf.

Live Musik nur am Abend und bei einem Verzehr von mehr als 5 Euros. Das kann ich schon übersetzen.

Auf Nachtisch, Kaffee und Trinkgeld verzichten wir heute einmal und verlassen diese Stätte mit echt bayerisch-freundlichem Flair und ebensolcher Gastfreundschaft.

© OScAR 2009.