Samstag, 28. November 2009

Osterhase


Fast täglich schleicht der kleine Mann mit seiner gefüllten Plastiktüte hinüber zum grünen Park. Dort stolpert er von Strauch zu Strauch und jedesmal versteckt er einen neuen Abfallbeutel hinter einem Busch. Wie weiland der Osterhase. Seine Ostereier.

Nicht weit davon entfernt steigt der Geschäftsmann aus seinem auf dem Fußweg geparkten Citroen, richtet die gegelten Haare ein weiteres Mal, verschiebt die Krawatte um zwei Millimeter nach rechts und streicht unablässig das dunkelblaue Jacket glatt. Dabei verschlingt er hastig sein Frühstück, putzt noch schnell seine Schuhe mit dem fettigen Butterbrotpapier und läßt dieses elegant unter das Auto gleiten. Dann eilt er von dannen.

Gegenüber auf dem Parkstreifen für die modernen Pferdekutschen stehen sie aufgereiht und warten auf Gäste. Man wartet geduldig, der eine zeitungslesend im Auto, andere rauchend ans Blechkleid gelehnt, und einer geht ein paar Schritte zur Grünanlage. Er packt eine Tüte mit Apfelsinen aus, schält diese elegant und wirft die Schale ungerührt auf das Gras. Eine nach der anderen. Ein Kollege kommt dazu und macht ihm offensichtlich Vorhaltungen ob dieser Verschmutzung. Beide schreien sich immer lauter an, bis der Verschmutzer die Tüte hinterher wirft, in sein Taxi steigt und verschwindet.


Streunende Hunde und Portugiesen unterscheiden sich voneinander: Hunde heben beim Pinkeln das Bein. Nur die Rüden. Und Beide scheinen sich überall in der Stadt heimliche Reviere abzustecken. Lautlos, wie ich beobachte. Wie sonst ist zu verstehen, daß sämtliche Ecken und Nischen markiert werden und zum Himmel stinken. In aller Öffentlichkeit. Am hellichten Tag. Auch von den Hunden. Eine erstaunliche Fertigkeit ist zu erkennen, besonders bei Taxifahrern. Sie benötigen keine Hauswand oder Ecke oder Baum, nein, sie öffnen einfach die Autotür und schauen völlig uninteressiert dabei in die Gegend. Dabei zanken sich zwei Hunde um eine Plastiktüte.

Und dann tummeln sich noch die Spucker. Ihnen ist es gleich, ob nach rechts oder nach links. Zielgenau und überall. Nicht nur auf Strassen und Plätzen, nein, sogar im Supermarkt bei Obst und Gemüse. Dort, wo die Rentner ihre Runden zwischen den Regalreihen drehen und immer wieder den Geschmack der Weintrauben testen müssen, dort werden vernehmlich die unverdaulichen Reste auf den Boden gespuckt.

Regelmässig wie die ewigen Gezeiten an der Costa da Caparica öffnen sich die Türen von Bürogebäuden und Einkaufszentren und die Heerscharen von grauhäutigen, an den Händen zitternden und mit gierigem Blick nur auf den Eingang starrenden Tabak-Junkies fluten heraus. Sie reissen die Münder und Nasen auf, um endlich die ersehnte Luft zu atmen. Mitten in der vor den Türen wabernden Rauchwolke. Die ohnehin wenigen Worte werden sanft gedämpft von dem einheitsfarbenen Teppich aus Kippen und Asche, der sich bei jeder Flut vor den Türen anschwemmt.

Da steht er, im Hemd und leicht fröstelnd, der Beamte von CTT, im Eingang zur Post, lehnt an dem hüfthohen, qualmenden und übervollen Aschenbecher, zieht noch einmal gierig an der Kippe zwischen seinen gelbgefärbten Fingern und schnippt die Kippe auf den Boden. Zu den anderen. Dort qualmt sie bis zu ihrem endgültigen Ende.

Bedachtsam schiebt der grün gekleidete Strassenkehrer seinen grünen Karren über die qualmende Kippe. Er hat ein größeres Objekt am Ende der Strasse erspäht und nähert sich diesem äußerst vorsichtig. Eine halb aufgerissene Plastiktüte entläßt langsam ihren Inhalt. Ein Eierkarton verhindert den vollständigen Aderlaß.

© OScAR 2009.

Mittwoch, 25. November 2009

Verkehr(te) Welt oder "Lissabonner Allerlei"


Diese Suppe müssen sie schon selbst auslöffeln. Und das ist wahrhaftig kein Honigschlecken mehrmals am Tag. Wirklich nicht. Aber erst einmal zu den Zutaten...

Zu den Allerlei-Zutaten zählen vorwiegend portugiesische Autofahrer und portugiesische Fußgänger. Je nach Geschmack gebe man auch eine Prise Touristen hinzu.

Portugiesische Fußgänger sind von ihren angestammten Wegen Vertriebene, die, sobald sie fahrende Autos erspähen, kreuz und quer und jederzeit selbst über sechsspurige städtische Rennstrecken gleich Torreros sich ständig umschauend tanzen. Hauptsächlich an dafür vorgesehenen ampelbewehrten Übergängen. Und immer bei Rot. Mit Kindern an der Hand. Das scheint ein beliebter Zeitvertreib besonders von den älteren Semestern und von Gehbehinderten zu sein. Vor einem Shopping Center hat die Stadtverwaltung gar einen besonderen Service eingerichtet. Dort sind die Fußgängerampeln mit Count-Down Anzeigen ausgerüstet. Sobald die Fußgängerampel auf Grün schaltet, signalisiert man, in wieviel Sekunden auf Rot geschaltet und damit das kollektive Rennen über zehn vielbefahrene Fahrstreifen wieder aufgenommen werden kann. Aber um ehrlich zu sein, es sind tatsächlich keine zehn Fahrstreifen für den fliessenden Verkehr, denn auf beiden Seiten sind mindestens die jeweils ersten Streifen kontinuierlich zugeparkt.

In jedem Fall hat man ein Arrangement getroffen zwischen Fußgängern und Autofahrern: Die einen verdrängen die anderen und beparken und blockieren Wege und Ûbergänge wo immer möglich, die anderen behindern diese beim Fahren. Todesmutig.

Autofahrer sind so sehr mit gleichzeitigem Rauchen, Telefonieren und Lenken überfordert, daß sie nicht auch noch den Blinker betätigen können. Deshalb wird dieser zu Beginn einer Fahrt sicherheitshalber erst einmal gesetzt. Am liebsten nach rechts. Auf Dauerbetrieb. Schließlich hat man die feste Absicht, irgendwann tatsächlich nach rechts oder auch nach links abzubiegen. Oder in die andere Richtung. Ist kein Blinker gesetzt, dann wird der Fahrer überhaupt nicht blinken. Weder beim Abbiegen, Einbiegen noch sonst wo. Eine spezielle Einrichtung hingegen ist die Parkblinkanlage, bei uns eher bekannt als Warnblinkanlage. Immer dann, wenn ein Auto verkehrshemmend geparkt wird, schaltet sich diese automatisch ein. Die Hupe dagegen wird nur dann wirklich lautstark eingesetzt, wenn Gefahr im Verzuge zu sein scheint. Um beispielsweise dem Fahrer, der in dritter Reihe parkt, zurückzurufen, damit er sein parkblinkendes Auto auch einmal woanders positioniert und ein anderer Eingeparkter per Hupe so mit ihm Kontakt aufnehmen kann. Beliebt sind solche Kontaktaufnahmen vor den Geschäften, vor Post und Zentralbahnhof, vor Krankenhaus, Kirche und Bankautomat.

Autofahrerinnen dagegen handhaben zusätzlich zu Zigarette, Handy und Lenkrad auch noch den Lippenstift. Und sie sind immer vornübergebeugt, damit sie sich im Innenspiegel begutachten können. Mit großer Sonnenbrille. Portugiesische Autofahrerinnen haben trotz allem nicht das besondere Gen, mit dem sie mehrere Dinge gleichzeitig tun können, denn neben Rauchen, Telefonieren, Lenken und Schminken können sie nicht mehr fahren. Sie rollen ziemlich schnell aus und verweilen genau dort, wo ihr Auto gerade zum Stillstand gekommen ist. Meistens mitten auf der Kreuzung.

Autofahrer parken überall. Wo es erlaubt ist sowieso, aber auch dort, wo es nicht erlaubt ist. Besonders gerne wird geparkt, wo es den anderen Autofahrer be- oder sogar das Weiterfahren verhindert. Die Busspuren sind ideale Parkstreifen, dann muß der Bus auf die normale Spuren ausweichen. Bushaltebuchten dürfen nicht frei gehalten sondern müssen zugeparkt werden, dann muß der Bus mitten auf der Straße stehen bleiben. Zebrastreifen sind ideale Kurzparkzonen. Der Fußgänger wieselt ja ohnehin zwischen den Autos durch. Und weil kaum noch Fußgänger auf Fußwegen anzutreffen sind, nutzt man die Gunst der Stunde und parkt auf den Fußwegen. In zweiter Reihe parken ist selbstverständlich. Mit eingeschalteter Parkblinkanlage. In dritter Reihe parken ist dagegen nicht so häufig anzutreffen, es sei denn, man lenkt einen Hummer, Q7 oder Cayenne. Im Kreisverkehr zu parken ist oberste Autofahrerpflicht, weil dadurch weniger Verkehr im Kreisel fließt und das bißchen Verkehr aus dem Kreisel nicht abfahren kann, weil die Ausfahrten ebenfalls zu Parkzonen umfunktioniert worden sind.

Normalerweise würde das alles zur Verkehrsberuhigung beitragen, wenn dann nicht gleich diese Huperei einsetzen würde.

Richtige Kreisel, nicht die von der EU gesponsorten, zählen gleich mehrere Spuren, wobei die Fahrspurenmarkierungen bis zur Unkenntlichkeit verblichen sind. Also fährt man erst einmal in den Kreisel hinein und bleibt dann stehen, weil man sich erst einmal auf die Sortier- und Reihenfolge verständigen muß. Das Abbiegen von der innersten Kreiselspur über sämtliche anderen Spuren hinweg in eine Kreiselausfahrt ist besonders beliebt und wird von allen Umstehenden mit einem vielstimmigen Hupkonzert belohnt. Der Kreisverkehr ist aber auch eine beliebte und ideale Kontrollfalle der Polizei. Ist man erst einmal in den Kreisel gefahren, gibt es kein Ausweichen oder Flüchten.

An Ampeln wird die Farbe Rot als Hinweis dafür betrachtet, daß der Querverkehr vielleicht gerade Grün sieht. Die Farbe Gelb fehlt beim Umschalten von Rot auf Grün, was aber durch ein sofort einsetzendes Hupen vom letzten Fahrer in der Schlange ausgeglichen wird. Der Träumer an der Spitze ist geweckt und kann sodann anrollen. Nach ihm würden es vielleicht noch zwei weitere Fahrzeuge bei Gelb schaffen, aber, wie gesagt, ein gerade einsetzendes Rot ist kein Anhaltegrund. Der Träumer vom Querverkehr rollt doch auch später an.

Verkehrszeichen sind bunt, klein und eigentlich überflüssig. Sie stehen oder lehnen vornübergebeugt überall dort, wo sie nicht erkannt werden sollen oder wollen. Ob sie nun vorhanden sind oder auch nicht, ignoriert werden sie von allen Autofahrern. Also könnte man sie doch gleich in die ehemalige Kolonie Angola verschiffen. Und weil auch die geschwindigkeitsbegrenzenden Verkehrszeichen ein eher trauriges Dasein fristen, werden diese auf unfaire Weise durch kleine Gemeinheiten auf der Straße aufgeheitert. Schwarz-gelbe Schweller reduzieren unangekündigt den flüssigen Verkehr durch zerstörungsfreundliche Schläge auf das Fahrgestell. Diesen Schlägen entgehen viele jüngere Autofahrer, indem sie die Geschwindigkeit erhöhen und über diese Schweller geradezu hinwegfliegen. Angekündigt werden stattdessen festinstallierte Radarfallen auf großen elektronischen Warntafeln. Wer diese Warnung übersieht und weiterbrettert, wird von neumodischen Radarsäulen gnadenlos auf jeder Spur und im dicksten Verkehr registriert und nach ca. einem Kalenderjahr zur Kasse gebeten. Ein in Schieflage abgestellter alter BMW an einer Bushaltestelle jedoch ist nichts anderes als eine mobile Radarfalle. Ein paar Hundert Meter weiter akzeptiert die Polizei jede Kreditkarte.

Die Polizei im Bereich Lissabon nimmt man als Ausländer nicht ganz so ernst, wenn man deren ausgeleierte Fahrzeuge der Marke Skoda betrachtet. Das Blaulicht ist meist im Dauerbetrieb, denn ein Ausschalten lohnt sich nicht, wenn diese Ordnungshüter unterwegs sind. Und die Zigarettenpause zieht sich ja nicht so sehr in die Länge. Jedenfalls scheinen sie nie auf Streife zu sein, denn es interessiert die Herren überhaupt nicht, wenn sie selbst blockierte Kreisel, zugeparkte Parkhauseinfahrten, in zweiter oder dritter Reihe geparkte Autos oder verstopfte Busspuren umfahren müssen.

Dagegen paradiert täglich hoch zu edlen Lusitano-Schimmeln die stolze Schwadron der Berittenen Polizei wie weiland Don Quichotte auf der Hauptschlagader, die dafür extra gesperrten wird.

Vor kurzem muß es bei AKI wohl eine Sonderaktion gegeben haben: Plötzlich und aus heiterem Himmel hat sich die Polizei mit einem guten Dutzend Parkkrallen versorgt und ans Werk gemacht und einige Autos unfair am Weiterfahren gehindert. Die wollen doch gar nicht weiterfahren, sondern die wollen wie immer dort nur parken. Oder haben die nur die Kfz-Steuer nicht bezahlt? Also krallt man sie dort fest, wo man sie erwischt hat. Verkehrsbehindernd.

© OScAR 2009.

Samstag, 21. November 2009

Dörfer in Schiefer

"Per Aspera Ad Astra"
Das Asphaltband der A1 spult sich vor uns kontinuierlich ab und wir wollen nach Norden. Die Perlenkette der Hindernisfahrer in der mittleren Spur nimmt kein Ende, aber es ist mir zwischenzeitlich unwichtig, solange ich rechts oder manchmal auch links vorbeiziehen kann.

Als wir die alte Universitätsstadt Coimbra erreichen ist es Zeit für einen Snack. Sie behauptet, sich auszukennen und lotst mich trotz der Einwände des Navi-Systems einmal rechts herum, einmal links herum und jedes an der Straße liegende Restaurant findet keine Gnade vor ihren Augen. Und dann sind wir aus Coimbra herausgefahren. Und ich weigere mich standhaft, zu drehen. Also eilt unser Blick der Straße voraus, um vielleicht doch irgendwo etwas Eßbares aufzutreiben. Road killed kommt nicht in die engere Auswahl. Am Ende bleibt es doch ein Snack und kein Menü.

Das Navi tut sein Bestes. Es navigiert uns ins das portugiesische Hinterland, in die gebirgigen Provinzen Beiras. Mit jedem Kilometer nimmt die Rauheit der Landschaften zu und gleichzeitig auch die Entfremdung vom besiedelten Teil des Landes.

Es muß jedenfalls S. Pedro sein, das sie als unseren ersten Fotostop ausgesucht hat. So steigen wir also aus, umrunden gemeinsam das kleine Gebäude, ohne genau zu wissen, worum es sich hier handelt. Nirgendwo finden wir einen erklärenden Hinweis. Aber die ersten Fotos werden geschossen und kein anderer Besucher stört dabei. Es gibt keine.

Ich lasse meinen Blick umherschweifen. Plötzlich verhakt er sich an einer portugiesischen Schönheit. Heimlich schiele ich weiter zu diesem Blickfang, überlege schnell, ob ich es wagen kann, ein Zufallsfoto von ihr zu schiessen. Wie sie dasteht, auf der anderen Strassenseite unter einem von Weinreben umrankten Dach und bewegt sich nicht. Der Teint scheint etwas grünlich zu sein, ahhh, hier und da ein wenig Akne oder Pickel, und bei näherer Betrachtung durch das Teleobjektiv zeigt sich auch das Fahrgestell leider nicht so makellos. Ich entdecke einen Senk- oder Plattfuß vorne links. Von mir aus gesehen.

Da tritt meine Begleiterin dicht an mich heran, schaut mir streng in die Augen und sie sagt, was sie als Frau sagen muß: „Wir brauchen in der Stadt wirklich keinen alten Traktor!" Technik-Banause!

Sie tut, als habe sie ein Leben lang schon in Monte Alto gelebt. Also muß ich den Berg hinauf und rolle in einen großzügig angelegten Park. Eine grandiose Aussicht in die Täler ist der Dank, daß ich ihrem Rat gefolgt bin. Große, schattige Bäume, Parkbänke zum Ausruhen, einzelne Gärten und diese weiße Kirche. Die übergroße Eingangstreppe ist verziert mit einer ca. 10 m breiten Abbildung aus blauen Fliesen. See mit Schwänen. Während ich dieses bewundere und fotogafiere, brummelt mein Magen ein Kommentar über Gänsekeule und Klöse. Wir Beide behalten das vorsorglich für uns.

Der Wagen rollt jetzt nach Osten und nimmt die Berge als nächstes Ziel. Selbst das Navi bekommt Kopfschmerzen von kurvigen, steilen und rauheren Strassen. Nach einem Klick am Lenkrad zieht es sich devot zurück ins Armaturenbrett. Es wird jetzt nicht mehr benötigt. Jetzt ist meine Gelegenheit gekommen, die immer nackter und steiniger werdenden Berge zu befahren und den direkten Weg nach Piódão zu suchen. Das klappt hervorragend und meine Lebensgefährtin lernt mich als dynamischen und furchtlosen Pionier kennen. Schiefer und Granit bestimmen nunmehr die Umgebung und Krüppeleichen und Kiefern setzen hier und da grüne Akzente. Unwirtlich ist die Gegend geworden, geradezu menschenfeindlich und entvölkert. Die letzten Häuseransammlungen liegen weit zurück und unter uns, doch das staubige Band einer Schotterstrecke weist nach Osten. Nach oben. Zum Ziel.


Zwei Tage nach unserer Expedition, so höre ich, versuchte die Staubwolke, von uns erzeugt, sich doch noch zu setzen. Zwei Tage fiel jeglicher Verkehr wegen abgedunkelter Sonne aus. Aber jetzt gibt es kein zurück. Wer will sich schon in seiner eigenen Staubwolke zurücktasten? Vorwärts.

Das Schütteln endet hoch oben auf einem Bergrücken und gibt den Blick frei auf Piódão tief unten im Tal. Und wir gleiten in das Örtchen hinein und kommen auf dem Marktplatz der Souvenirhändler zu stehen. Häßlicher Schund aus Schiefer wird uns feilgeboten. Selbst die beiden Cafes sind geschrumpft, weil auch dort überall Brot, Honig, Schiefer und Souvenirs für Küche, Wohnzimmer und alle Lebenslagen das Bild beherrscht. Nach einiger Zeit und mehreren Touristen ist der Marktplatz völlig chaotisch zugeparkt. Wir beschliessen erst einmal eine Stadtrundfahrt.

Neben dem Marktplatz gibt es noch eine abgrundhäßliche in weiß/blau getünchte Kirche, die mich an die einschlägigen sakralen Bauten unserer ausländischen Mitbürger erinnert, und der nur noch das Minarett fehlt. Ansonsten sind alle Häuser aus Schiefer und sie sind interessant anzuschauen. Die kleinen Gässchen lassen uns zwischen diesen Häusern herumsteigen und laden zum Fotografieren ein. Hin und wieder steht ein kleines Fenster offen und wir können einen Blick hinein riskieren. Ziemlich beengt aber ordentlich und sauber. Nur ganz wenige Mauern sind kurz vor dem Einsturz. Und an vielen Ecken wird fleißig restauriert. Jedes Haus hat einen Nabelschnur zur Infrastruktur, was aber nicht gleichzusetzen ist mit Komfort hinter diesen nassen Schieferwänden.

Mein Auge freut sich über die wenigen neuen Gebäude, die um den Ort herum in den Berghang gestellt und weil diese wenigstens äußerlich den Schieferhäusern angepaßt sind. Selbst kleine Steinhütten fügen sich geduckt in das Bild ein. Dieses aber verschwindet ziemlich rasch, weil Sonne und Licht recht schnell abgestellt werden. Ebenso schnell fallen wir in ein abseits auf einem Plateau stehendes Hotel ein und hoffen, ein warmes Plätzchen dort zu finden.


Wenn man bei diesen Touristenströmen die einzige Herberge weit und breit ist, kann man gut wählerisch und teuer sein. Ein ausländisches Nummernschild hilft zwar beträchtlich, doch ist erst einmal das Wasser für Stunden ausgefallen. Etwas verstimmt und verstaubt gönnen wir unseren knurrenden Mägen ein Buffett, über das hier nicht viel gesagt werden soll. Danach schlafen wir bei offenem Fenster in einer totalen Finsternis und mit kalt-frischer Luft wie die Murmeltiere. Das Buffett zum Frühstück sei hier nicht erwähnt.

Zurück zwischen den Schieferwänden und ohne Touristenströme zu dieser frühen Zeit können wir noch mehr Fotos unter anderen Lichtverhältnissen schiessen, bis die Speicherkarten ächzen. Dann folgend wir der Straße auf die andere Bergseite nach Chas d'Egua. Ein kleines Dörfchen mit wenig Charme. Foz d'Egua dagegen ist eine Ansammlung von Schieferwänden und Dächern mit zwei wirklichen Attraktion. Eine Seilhängebrücke für Fußgänger über eine kraterähnliche Vertiefung, in der zwei Bächlein zusammenfliessen und jemand ein Stück echten Strand aufgeschüttet hat. Alles Privatbesitz.

Um dieser abgeschiedenen und sterbenden Gegend in der Serra de Estrela, Portugals höchstem Gebirge, mit Mund-zu-Mund-Beatmung etwas auf die Beine zu helfen, wurde hier die zehn schönsten Dörfer unter Denkmalschutz gestellt. Man reanimiert die Häuser und die wenigen Einheimischen und vertraut auf den Tourismus. Und hat eine Freilichtmuseum daraus gemacht.

Das Navi darf jetzt wieder den Ton angeben und soll uns zur nächsten Autobahn führen. Gesagt, getan. Es weiß nicht, daß wir jetzt einsame Berghänge sehen werden. Diese sind wellig begrünt und in unterschiedlichem Licht einfach fotogen. Dazwischen geben die Berge uns den Blick frei auf kleine Dörfchen, dicht an die Hänge geschmiegt und umgeben von wohl mühsam aufgeschütteten Terassenfeldern. Aber auch die Vegetation stellt sich wieder ein, je tiefer wir hinabgleiten. Schattige Nadelwälder wechseln sich mit Büschen ab und bedecken die Schieferflächen, auf denen sich keine Flora halten konnte.

Und weil wir der Zivilisation näher kommen, entdecken wir die ersten Wegweiser zur erhofften Autobahn. Und da ist es nur noch eine Frage von wenigen Stunden, bis wir vom Lärm und Chaos von Lissabon eingefangen und umschlossen werden.

© OScAR 2008.

Freitag, 20. November 2009

Eine grüne Azoren Insel


Diese alte Geschichte aus dem letzten Jahrhundert wird sie eines Tages aufwärmen. Eine Portugiesin vergißt so etwas nicht, sie lebt dafür. Ich sehe diesem Moment sehr gelassen entgegen, ahne ich doch nicht, daß die Herdplatte schon die Farbe wechselt. Natürlich will ich mir - eines Tages - den Ort ansehen, an dem sie damals ihren Liebeskummer in Arbeit ertränken mußte. So sagt sie. Wegen mir. Auf einer portugiesischen Insel? Aha! Im dortigen Zollamt, also Alfandega? Aaaaha! Dort gibt es soviel Arbeit? Und schon wechseln die Bilder vor meinem geistigen Auge, ich sehe Sonne, Palmen, Strand, blaues Wasser und weit im Hintergrund das verlassene Zollhäuschen der Insel, an dem die Farbe abblättert und die Tür schief in den Angeln hängt. Nun denn, dann laß uns diesen Reise ruhig antreten, kann ja nicht so schlimm werden.

Als wir auf halbem Weg nach Kuba sind, notlandet der Flieger auf einer Insel. Jedenfalls kommt es mir so vor. Doch als der Flieger ohne uns wieder abhebt, schleicht sich bei mir der Verdacht ein, daß wir am Ort der damaligen Verzweiflung angekommen sein müssen. Es regnet in Strömen. Jeden Tag. Wie im Regenwald. Also hatte sie den Liebeskummer nicht in Arbeit, sondern in Regenwasser ertränken wollen.

Ich schaue mich um im Flughafengebäude. Alles ist in Reichweite. Ankunft, Abflug, Gepäckband, Cafe, Geldautomat, Autovermietung, Souvenirshop, Toiletten. Fehlt nur noch der Chauffeur. Und der ist auch schon da.

Oha, ein gutsituierter Herr, etwas älter als ich, mit Schlips und Kragen, polierten Schuhen und einem Lächeln im Gesicht, das alleine meiner Begleiterin gilt. Nach einer Weile und nach vielen Bussis werde ich dem Carlos vorgestellt. Er lächelt sie noch immer an. Irgendwann später im Daimler werden mir ein paar Nebensätze übersetzt und zugeworfen. Und er lächelt noch immer. Botox.

Ohaaa, Konsul eines alpenländischen Staates. Das ist interessant. Auf dieser Insel? Sehr interessant. Und ich beschliesse, überall nach Mozartkugeln Ausschau zu halten. Er liefert uns vor dem Hotel ab und wünscht uns einen wunderschönen Aufenthalt. Küß die Hand, Madam, bis morgen früh. Servus, Herr Doktor.


Wir erfrischen uns und wollen uns im hoteleigenen Restaurant etwas stärken. Weil ich eine portugiesische Speisekarten ohnehin nicht lesen kann, lächele auch ich meine Begleiterin an und überlasse ihr - wie immer - Kontrolle, Auswahl und Bestellung. Für die Rechnung später wird die Kontrolle dann wieder zu mir wechseln. Aber auch sie schaut ungläubig in die Karte und kann darin nichts entziffern. Ich tippe auf Ungarisch, also nicht das Gulasch, sondern die Sprache. Es ist aber Finnisch. Na, ziemlich nahe gekommen. Und die einströmenden blonden, blassen und hochgewachsenen Touristen lassen erahnen, was die nächsten Tage auf uns zukommen wird.

Wir wechseln das Restaurant. Nein, wir haben nicht reserviert. Ja, wir warten gerne bei einem Gläschen auf einen freiwerdenden Tisch. Die Speisekarte gefällig? Meine Begleiterin hat endlich eine portugiesische Karte und ich eine deutsche, so jedenfalls steht es auf meiner geschrieben. Aber entziffern kann ich fast nichts, was dort geschrieben steht. Ich bitte um eine englischsprachige Ausgabe und vergleiche. Translated in China. Meine Kritik an der Übersetzung fällt auf fruchtbaren Boden und man reicht mir Papier und Stift. Nein, der Tisch ist noch besetzt. Also schwinge ich den Stift und übersetze und hinterlasse eine einzigartige Speisekarte, die von nun an von jedem Deutschen verstanden werden wird. Die Rechnung fällt demzufolge kaum ins Gewicht und ich kann sie aus der Portokasse begleichen.

Am Morgen säuselt der Daimler vor dem Eingang und wir steigen ein. Herr Konsul persönlich chauffiert uns um die Insel, erklärt alles und würzt hin und wieder die private Touristenführung mit Erinnerungen an vergangene Zeiten, als man sich in die besagte Arbeit oder die Regenpfützen stürzte. Dabei lächelt er meiner Begleiterin ununterbrochen zu und schaut kontinuierlich zu ihr hinüber auf die Beifahrerseite. Der Herr Konsul hat den Rundkurs um die Insel im Uhrzeigersinn gewählt, also immer rechts herum. Wie günstig.


Der Regen hat nachgelassen und die nicht mehr so schweren Wolken schieben sich hoch zu den Bergen. Und da vergesse ich für eine Weile die Beiden und sehe mich satt an dem Grün um uns herum. Hügel und Täler sind in einem unglaublich satten Grün gemalt, Bäume und Büsche wuchern ins Unendliche und die Straßen sind gesäumt von buntem Blumenrain. Wo immer wir entlang fahren, ich erfreue mich an Natur pur. Die Hortensie, die man ja auch die „Wasser-Schlürfende" nennt, überschwemmt die Straßenränder.

Und je länger wir fahren, um so mehr bin ich erstaunt über die Sauberkeit auf dieser Insel. Kein Abfall, keine wilden Müllhalden, keine verfallenen Häuser. Herr Konsul ist sichtlich amused, als ich ihm meine Beobachtungen schildere. Er meint, es erinnere ihn wohl an die Schweiz. Lediglich die Hotelruine in den Bergen ist ein Schandfleck auf der grünen Weste der Insel.

Kurze Zeit später knirscht der Kies unter dem Daimler, als wir auf den Hof einer Tee-Plantage fahren. Formoso ist dort zu lesen. Moment, sind wir jetzt auf dieser Insel angelandet? War ja wohl auch einmal portugiesisch, überrasche ich Herrn Konsul mit meinem Wissen. Uns wird eine Führung angeboten, die sich trotzdem als informativ und besonders angenehm riechend herausstellt. Vom Strauch, durch Maschinen aus der Zeit der industriellen Revolution, bis zu den verkaufsfertigen Tüten. Heimlich schaue ich mich um und frage mich, wo wohl die kleinen Fäden um die kleinen Teebeutel gewickelt werden. Selbstverständlich offeriert uns Carlos ein Schmuckkästchen mit erlesenen Teesorten. Wenn mich einmal der Magen zwicken sollte, werde ich darauf zurück kommen. Beim Einsteigen kommentiert unser Chauffeur mein zuvor exponiertes Wissen mit einem Wort: Formosa.

Vom Vista do Rei dürfen wir den königlichen Blick hinunter auf den Lagoa Azul und den Lagoa Verde geniessen. Zwei Seen liegen unter uns, nur durch eine Brücke getrennt, aber beide haben völlig unterschiedliche Farben in diesem Vulkankrater. Herr Konsul entschuldigt sich für eine Minute und taucht in eine Hecke ein. Na, was sage ich denn dazu!

Der Daimler wird selbstverständlich nur auf dem breiten und gut ausgebauten Insel-Rundkurs bewegt, lediglich die ebenfalls vorzüglichen Querspangen werden miteinbezogen. Die kleinen Nebensträßchen, die Schotterwege oder die Bergpfade existieren auf der Daimler-Straßenkarte jedenfalls nicht. Schade.


Am nächsten Tag miete ich einen für mich standesgemäßen Kleinwagen und suche systematisch die Nebenstrecken. Dort treffen wir meist Rucksack-Touristen, die mit verklärten Gesichtern zur Höhe schreiten. Auch hier werde ich freudig überrascht von der Sauberkeit rundherum. In Caldheira Velha soll ich ganzjährig in einem natürlichen Thermalschwimmbad schwimmen können. Wir finden es etwas versteckt im grünen Wald und wird gerade als Filmkulisse benutzt. Doch dann machen wir uns auf zu den öffentlichen Kochstellen dieser Insel. Lagoa das Furnas geizt nicht mit warmem aber sehr überdüngtem und deshalb seltsam gefärbtem Wasser. Wir wenden uns zur Nordseite und folgen den immer intensiver werdenden Schwefeldämpfen, die aus der Erde, aus den Fumarolen dampfen. Luzifer muß hier eine weitere Dependance unterhalten. Kleine aber tiefe Löcher in der Erde werden von den Einheimischen gerne zum Kochen ihrer traditionellen Lieblingsspeise bevorzugt. Cozido das Furnas ist eine Mischung aus Fleisch, Würstchen, Kohl, Kartoffeln und anderem Gemüse. Die Erdwärme genügt völlig. Die Zubereitung dauert mehrere Stunden. Den Topf läßt man an einem Seil ins Loch hinab. Das Loch wird verschlossen und erst gegen Abend nach rund sieben Stunden wieder geöffnet. So gart der Cozido langsam vor sich hin. Aber was mache ich in diesen sieben Stunden. Baden gehen.

Weil die Kleidung jetzt ohnehin den Schwefelgeruch angenommen hat und mir eigentlich nur noch ein Pferdefuß zu fehlen scheint, besuchen wir Luzifers nächste Dependance in Caldeiras das Furnas. Aus 22 Quellen dampft und sprudelt es und in so manchen Spalten vernimmt man das Ächzen der Erdkruste tief im Inneren.

Der Norden der Insel ist eine eigene Welt. Unzählbare Täler verschlingen sich ineinander, alle überzogen mit saftigem Grün. Dazwischen die glücklichen Kühe, deren Abbildungen ich schon einmal irgendwo gesehen zu haben glaube. Ach ja, Continente, H-Milch Abteilung. Man gibt mir zu verstehen, daß jemand aus Lissabon schon gewisse Schwierigkeiten habe, dieses harte Portugiesisch zu verstehen. Ich nicke und stimme damit zu.

Von Nordeste aus versuchen wir am anderen Tag den höchsten Berg der Insel, den Pico da Vara zu stürmen. Das Wägelchen keucht zu dem über Tausend Meter hohen Gipfel hinauf, bis der Vorwärtsdrang abrupt aber deutlich unterbrochen wird. Weiterklettern nur noch zu Fuß. Ich kann meine Begleiterin überzeugen, daß die schönsten und eindruckvollsten Fotos immer von halber Höhe aus gemacht werden und wir ja gar nicht wissen, ob der Gipfel nicht doch in Regenwolken gehüllt ist. Stattdessen kurven wir zum schönsten aller Seen, dem Feuersee Lagoa do Fogo. Der liegt hoch oben in den Bergen in einem naturbelassenen Krater.

Die rudimentäre Straßenübersicht des Vermieters signalisiert mir deutlich, daß es eine Verbindung zwischen Nordeste und Povoacao geben muß. So eine kaum sichtbare dünne Linie ist doch der Beweis dafür. Und diesen Weg gilt es zu finden. Unglücklicherweise fegt man diese Insel offensichtlich zu gründlich, es gibt danach keine Hinweis- oder Straßenschilder, die mir bei der erfolgreichen Suche helfen könnten. Wieder und wieder landen wir in Nordeste und wollen schon aufgeben. Da fällt mein Blick auf die Polizeistation. Schnell und freundlich nach dem Weg gefragt. Polizist Nummer 1 zieht die Stirn in Falten und gibt sich sofort geschlagen. Polizist Nummer 2 übernimmt großzügig die Angelegenheit. Er erklärt gewissenhaft und verständlich. Polizist Nummer 3 kommt hinzu und erklärt Polizist Nummer 2 für inkompetent. Polizist Nummer 4 lächelt, greift zur Mütze und fordert uns auf, ihm zu folgen.

Seine satt-grüner Land Rover fegt vor uns die Straßen frei und mit unerlaubter Geschwindigkeit kurven wir über Schotterwege, bis mir schwindlig wird. Er hält den Wagen an, deutet zu den Berggipfeln und wünscht uns eine gute Fahrt. Ach, hier beginnt dieses Abenteuer? Wir jagen unser Wägelchen wieder einmal einen Berg hinauf und meine Begleiterin wird immer stiller und saugt das Naturschauspiel in sich auf. An den inneren Steilhängen wuchern dichte und feuchte Wälder. Glücklicherweise sind diese Steilhänge immer rechts des Weges, was zu meiner Entspannung erheblich beiträgt. Jetzt kann auch ich freundlich lächelnd zu meiner Beifahrerin nach rechts schauen. Sie jedoch schickt immer öfter entsetzte Blicke in die Tiefe.

Die Bäume stehen dicht und ragen hoch wie Kirchtürme. Ein zügiges Vorwärtskommen ist uns nicht gegönnt, weil der Weg alles andere als befahrbar ist und ein Wenden aussichtslos scheint. Außerdem lege ich keinen Wert auf Steilhänge auf der linken Seite. So treibt es uns Gipfelstürmer in ungeahnte Höhen bis zur höchsten Stelle. Aber auch dort kann es zu Verkehrsstau und Wartezeiten kommen. Ein Holzfällertrupp mit schwerem Gerät hat nicht nur die atemberaubende Aussicht verbessert, sondern auch den Weg in ein Schlammbecken verwandelt. Ein Durchkommen gibt es hier nur mit U-Boot oder Panzerketten. Umdrehen? Untergehen? Da schwingt sich der Herr Vorarbeiter in einen Monstertruck und bringt mit einem Räumschild die Schlammassen in Bewegung. Zweimal durchpflügt er den Brei und beim dritten Mal müssen wir ihm dicht auf den Fersen folgen. So teilt er wie weiland Moses den Schlamm vor uns, der sich hinter uns zugleich wieder schließt. Von da an geht es bergab. Und ich stelle mir vor, wie man dieses Abenteuer touristisch einsetzen könnte.

Der letzte Tag ist angebrochen und der Daimler steht bereit. Als Herr Geheimrat die angetrocknete Schönheitsmaske des Mietwagens erblickt, ist er etwas irritiert darüber. Ich kann ihm diesen kleinen Ausflug nur empfehlen. Da setzt sein Lächeln wieder ein und er verspricht, bei Gelegenheit seinen nagelneuen Land Cruiser dorthin zu bewegen. Servus, Herr Doktor.

© OScAR 2009.

Sonntags im Alentejo


„Papi, Du mußt unbedingt bald einmal nach Alentejo fahren und dort ein paar Fotos von echten Lusitanos knipsen!" So die klare Anweisung einer meiner Töchter vor ein paar Tagen. Und eine solche klare Anweisung erlaubt keine allzugroße Verzögerung. Sie muß alsbald in die Tat umgesetzt werden. Das hat sie von der Mutter.

Kamera eingepackt, sonniges Wetter bestellt, aufgetankt und die Gewissheit, daß dieser Pferdestall... pardon, Lusitano Zuchtstation unmittelbar und direkt auf die IC1 gebaut worden ist. Die Anfahrtskizze im Internet läßt da überhaupt keine Zweifel aufkommen.

Schnell die A2 in kommodem Tempo runterdüsen. Ein paar Minuten feixen, weil drei Polizeifahrzeuge einen armen Holländer ohne Wohnwagen wohl erwischt haben und ihm gerade die portugiesische Hölle anwärmen. Und wenn drei Polizeifahrzeuge gerade beschäftigt sind, dann können ja keine weiteren auf Streife sein. Also die Tachonadel Richtung Nordost bewegt zu einem flüssig-kontinuierlichen Gleiten.

Beide Navigationssysteme sind sich noch einig, wie man schnell und ohne Umwege nach Ourique kommt. Und kaum habe ich es so durch meinen Kopf gehen lassen, bin ich schon mitten im Städtchen. Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, daß es Sonntag ist.

Sonntag mittags in Ourique bei strahlendem Sonnenschein sind alle Passanten sehr freundlich. „Wo ist denn bitte dieser Garten der Lüste... pardon, Lusitanos?" Die älteren Ourique'aner vor dem Cafe an der Ecke schauen auf. Dann schauen sie sich an. Und einer, der mit dem großen Stock in der Hand, schlendert auf uns zu und hat blitzschnell erkannt, daß ich nicht aus Portugal und meine Beifahrerin dafür aus Lissabon ist. Kein Wunder, bei einem deutschen Nummernschild.

Ähhh, jaaa, alsooo...er scheint einen Fortsetzungsroman zu erzählen und wiederholt immer wieder den gleichen Wortschwall und die gleichen Handbewegungen, aus denen wir ablesen sollen, wann und wo wir abbiegen müssen. Dabei schlägt sein Stock gegen meinen Wagen, und ich habe Angst um das Blechkleid. „Unsinn!" ruft ein anderer und verdrängt den mit dem Stock, legt sich ins geöffnete Beifahrerfenster und gibt uns die richtigen Fahranweisungen. Ich habe ja meiner Begleitung gleich morgens empfohlen, etwas Hochgeschlossenes zu tragen. Dieser Herr jedenfalls liegt in meinem Fenster und genießt offensichtlich eine tolle Aussicht.

So ein Automatikwagen hat die unangenehme Eigenschaft, daß er sich manchmal von alleine fortbewegt. Irgendwann kann der freundliche Herr nicht mehr mithalten und verschwindet aus unserem Blickfeld. Wir halten uns den Bauch vor Lachen, schalten beide Navi-Systeme in Ermangelung einer eingebbaren Lokation aus und folgen der Sonne. Erst über schmale Straßen, dann über schmale Schotterwege und zum Schluß über noch schmälere Feldwege. Der Bauer eines abseits gelegenen Hofes wundert sich schon über uns. Aber er ist absolut hilfsbereit und bedeutet uns, diesem Weg zu folgen, bis wir ein kleines Schild sehen werden. Dann links ab.

Dieses Schild existiert nicht.


Meine Beifahrerin aus Lissabon ist trotzdem hellauf begeistert von Portugal. Diese Landschaften. Dieser Geruch. Dieses kleine Lämmchen dort, wie süß. Und ich vermisse meinen Jeep.

Wie aus dem Nichts taucht eine asphaltierte Straße vor uns auf. Ich bin sicher, es muß die A22 sein, aber dafür ist sie einfach zu schmal. Und es gibt keine Mautstation. Eine Menschenmenge vor einem Restaurant beobachtet uns argwöhnisch. Ein Volvo, der in Ourique noch dunkelblau-metallic war und jetzt hier im Süden leicht hellbraun umgespritzt wurde. Und dann dieses Nummernschild. Und Radattelchen hängen vom Innenspiegel herunter. Und dann dieses fremde Nummernschild aus Texas im Rückfenster. Na, da sei Vorsicht geboten.

Ein Herr im dunklen Anzug will ja unbedingt helfen, aber er weiß auch nicht wie und wo die Lusitanos grasen. Also fahren wir nach Osten.

Eine alte zahnlose Dame weiß es dann endlich genau. Sie erklärt, wie es Damen nun einmal perfekt können, mindestens dreimal jeweils einen anderen Weg zu einem Dorf, das aber sehr, sehr weit entfernt sei. Wieviele Kilometer? Das wisse sie nicht, schließlich sei sie noch niemals in ihrem Leben dort gewesen.

Jetzt wird es aber Zeit für den ehemaligen Pfadfinder, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das Handy verbindet mich mit dem Lusitano-Hengst... pardon, Besitzer, ein waschechter Bayer aus Regensburg, der erklärt, daß da ein kleiner Feldweg ganz in der Nähe eines Montes abzweigen würde. Diesem Feldweg müsse man folgen, denn der führe direkt in den Stall und außerdem sei es todsicher, denn dieser Feldweg ende genau dort.

Beschwingt umrunde ich jetzt Felsbrocken und Schlaglöcher, in denen man bei Regenwetter wohl ertrinken würde, und rieche quasi schon die Lusitanos. Zum Glück ist niemand von uns schwanger, sonst würden die Waschbrettabschnitte eine diesbezügliche Planung zunichte machen. Eine Schafherde stoppt unseren Vorwärtsdrang. Der gelangweilte aber bei unserem Auftauchen glockenhellwache Schäfer im modisch-aktuellen Schäferlook sieht nachmittags die Sonne aufgehen. Er fragt, was wir hier wohl suchen. Natürlich kenne er den Stall. Und seine Augen suchen meine Begleiterin von oben bis unten ab. Er freut sich wie ein kleines Kind, endlich einmal etwas Handfestes zu sehen...und als er auf der Beifahrerseite handgreiflich werden will, macht sich dieser Automatikwagen wieder einmal selbständig und rollt ihm über den Fuß. Sein obligatorischer Schäferhund, also ein kleiner Köter, jagt mehrere Kilometer kläffend (daher auch der Ausdruck Kläffer) hinter uns her, bis er uns in Höhe Lissabon zu wissen glaubt.


Und dann endet der Feldweg. Und wir sind angekommen. Und ich setze meine neue Kamera ein und fotografiere einen fast perfekten Lusitano Hof in einer atemberaubenden Landschaft.

© OScAR 2009.